Vinzidorf

Samstag, 1. November 2003

Mit großem Eifer spielen die Kinder die Szene mit dem Bettler. Wie Martin vom (Holz)-Pferd steigt und seinen roten Mantel teilt und dem frierenden Mann umhängt. Die Kindergarteneltern sind entzückt, wie herzig die Kinder diese Szene darstellen, die Väter versuchen, diese bewegende Szene mit ihren Videokameras festzuhalten. Auch die von weit herbei geeilten Großeltern sind begeistert, wie rührend Sabine (als Martin) und Patrick (als Bettler) diese Szene darstellen, wie sie sich vor ca. 1670 Jahren in Amiens in Frankreich abgespielt hat. Der Maler Ludwig Mayer hat 1862 das Hochaltarbild unserer Pfarre gemalt.

Aber was passiert, wenn der Bettler ein echter Sandler ist, obdachlos und alkoholkrank? Wenn die Figur aus der Martinsszene nicht gespielt, sondern echt ist?

"Hl. Martin" heute!?Viele haben ihre Probleme: Obdachlose Männer erregen die Gemüter bei vielen Erwachsenen, ein Siedlerverein sammelt Unterschriften, weil viele Angst vor solchen Männern haben, weil sie angeblich gefährlich für kleine Kinder sind - das kleine Mädchen ist da sichtlich anderer Meinung. Denn Kinder spielen nicht nur mit Herz den hl.Martin, sie haben auch ein Herz, wenn der Bettler alt und unansehnlich geworden ist; wenn Schicksalsschläge und der Alkohol sein Gesicht zerfurcht haben. Das Mädchen handelt wie der hl. Martin heute handeln würde.

Ich habe es im Pfarrgemeinderat und mit vielen Menschen unserer Pfarre in vielen Gesprächen erörtert, wie sensibel und heikel die Arbeit und das Engagement für obdachlose, alkoholkranke und psychisch schwierige Menschen ist. Mir ist klar: so eine Hilfe darf sicherlich nicht zu Lasten anderer (Anrainer) geschehen.

Aber schließlich handelt es sich um arme Menschen, die schuldig oder schuldlos in diese Situation geraten sind. Ich denke, dass solche Menschen am Rande unserer Gesellschaft - ob Mann, ob Frau - Hilfe von der guten Politik und Arbeit in der Bezirksvorstehung und von unserer christlichen Pfarre brauchen. Der Pfarrgemeinderat von Aspern wird in seiner Novemberklausur beraten und entscheiden, ob und wie wir solchen Menschen in Zukunft helfen wollen.

Pfarrer Georg Stockert


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