Fastentuch

Zur Geschichte der Fastentücher

Fastentücher, diese einzigartigen Zeugnisse mittelalterlicher Frömmigkeit, sind selten geworden im christlichen Abendland. Einst in Europa weit verbreitet, verkörpern sie eine uralte liturgische Tradition, die sich nur noch in einigen Kirchen erhalten hat. Während der Quadragesima, der 40-tägigen vorösterlichen Fastenzeit, wurden sie im Chor aufgehängt und verdeckten den gesamten Altarraum. Der Gemeinde war in dieser Zeit der Blick auf das Allerheiligste, Altar und Reliquien, verwehrt. Das Fastentuch trennte sie auch vom Anblick der Messe, die nur noch gehört, aber nicht mehr gesehen werden konnte. Diese Trennung sollte den Gläubigen bewusst machen, dass sich ihre Seele durch die begangenen Sünden von Gott entfremdet hatte und sie deshalb bis zur Sühne durch Christi Tod nicht würdig waren, das Allerheiligste zu schauen. Man erlegte ihnen in Ergänzung zum körperlichen, zusätzlich eine Art seelisches Fasten als Buße auf. Die ältesten Tücher dürften einfarbig oder nur mit einfacher Ornamentstickerei geschmückt gewesen sein. Zu dieser Verhüllungsfunktion kam seit dem frühen 12. Jahrhundert eine weitere hinzu. Man begnügte sich nicht mehr allein damit, der Gemeinde den Anblick des Altars sowie der heiligen Messe zu verwehren und auf diese Weise ihre stille Einkehr zu fördern, sondern man benutzte die Tücher, um die gesamte Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht in zahlreichen aneinandergereihten Bildfeldern darzustellen. Die wahrscheinlich ältesten Beispiele entstanden zwischen 1126 und 1149 im Kloster St. Ulrich und Afra zu Augsburg. Sie sind zwar nicht erhalten geblieben, aber es existiert eine ausführliche Beschreibung aus dem Jahre 1493.
Seit dem 16. Jahrhundert setzte sich eine immer stärkere Konzentration auf die Darstellung der Passion Christi durch, wobei in der Mitte des Tuches eine Kreuzigungsszene dominiert, um die entweder einzelne Bildfelder mit weiteren Passionsthemen oder aber die arma Christi - die Werkzeuge, mit denen Christus gemartert wurde - angeordnet sind.
Da man das Fastentuch während der Quadragesima benutzte, nennt man es lateinisch velum quadragesimale oder in Anlehnung an den symbolischen Vergleich mit dem Jerusalemer Tempelvorhang auch velum templi. Gebräuchlich sind ebenfalls die Bezeichnungen Hungertuch, Passions- bzw. Fastenvelum oder im Niederdeutschen Schmachtlappen.
Von diesen Fastenvelen sind nur noch wenige erhalten geblieben. Die bedeutendste Gruppe bilden die in sogenannter Tüchleinmalerei gefertigten alpenländischen Fastentücher. Sie wurden je nach Größe aus mehreren miteinander vernähten Leinwandbahnen gefertigt. Damit die Bemalungen beim Auf- und Abrollen nicht brachen oder gar abplatzten, musste man auf eine Grundierung verzichten und Tempera- oder Leimfarben, seltener die leicht verblassenden Wasserfarben verwenden. Wie auf mehreren horizontal angeordneten Filmstreifen, entstanden so jene großflächigen, bis zu 99 Motive umfassenden Bilderbibeln, die man von ihrer kunsthistorischen Bedeutung her durchaus der gotischen Tafelmalerei gleichsetzen kann. Eine zweite Gruppe von Fastentüchern trifft man in der westfälisch-niedersächsischen Region. Sie unterscheiden sich jedoch wesentlich von ihren alpenländischen Verwandten. Die Bilder sind hier nicht farbig auf eine große Fläche gemalt, sondern auf Leinen gestickt und durch Leinenstege verbunden.

Asperner Fastentücher

In Aspern ließen wir diese alte Tradition vor einigen Jahren wieder aufleben. Einzelne Gruppen malen jeweils ein Bild zu einem Thema auf ein Tuch. Diese Tücher werden dann zusammengenäht und vor dem Hochaltarbild aufgehängt.