Christine Scholz

Montag, 1. November 2004

Kommen. Und Sehen.

2004. Das Jahr der Bibel.

Christine ScholzIch bin 47 Jahre, Mutter eines 17-jährigen Sohnes und unterrichte kaufmännische Fächer an einer Integrationsschule im dritten Bezirk. In der Pfarre habe ich als Firmbegleiterin und Lektorin - als Verkünderin des Wortes des lebendigen Gottes - sehr viel mit der Bibel zu tun. In meiner Kindheit lernte ich vor allem durch meine Mutter und meine Großmutter einen liebenden und gütigen Gott kennen, vor dem ich keine Angst haben musste, mit der beruhigenden Zusicherung: "Er lässt sicher nicht zu, dass jemand mehr aufgebürdet bekommt, als er tragen kann."

Diese Kindheitserfahrung stellte ich aber später beim Lesen einiger alttestamentlicher Texte und apokalyptischer Schriften in Frage, ohne mich aber genauer damit zu befassen.

Erst als die Entscheidung anfiel, ob mein Sohn das Sakrament der Erstkommunion empfangen sollte, wurde mir bewusst, dass ich eigentlich im Laufe der Jahre eine recht oberflächliche Christin geworden war. Ich wollte, dass die Erstkommunion für mein Kind ein schönes Fest mit nachhaltiger Wirkung werden sollte. Das bedeutete aber für mich, dass ich ihn auf diesem Weg als junger Christ begleitete und unterstützte. Und natürlich in weiterer Folge, dass auch ich mich wieder intensiver mit meinem Glauben auseinandersetzen musste (durfte).

Der Lohn dafür waren viele positive Erfahrungen in den letzten zehn Jahren, die mich immer mehr im Glauben bestärken.

Immer wieder entdecke ich, dass viele beim ersten Lesen grausam klingende Texte des Alten Testaments beim genauen Hinterfragen, eingebettet in einen geschichtlichen Hintergrund, den wir oft nicht kennen, sehr wohl den liebenden Gott zeigen.

Lange Zeit habe ich zum Beispiel nicht nachvollziehen können, warum Gott von Abraham seinen einzigen Sohn Isaak fordert (Gen 22.1 - 19). Es war mir so unverständlich, dass ich den Ruf des Engels... strecke deine Hand nicht gegen den Knaben aus... nicht wirklich wahrnahm. Dabei wird aber gerade mit diesem Text deutlich, dass unser Gott keine Menschenopfer will - was in anderen Religionen zu dieser Zeit durchaus üblich war.

Ich stoße immer wieder auf Stellen, die ich nicht verstehe, sehe sie aber mittlerweile als Aufforderung, mich damit genauer zu befassen.

Im Gegensatz zu manchen aufwühlenden Texten im Alten Testament sind viele Psalmen für mich eine Einladung zur Meditation - um nach einem anstrengenden Tag wieder zur Ruhe zu kommen.

Wir haben sie von Gott als Geschenk erhalten und sie gehört allen Menschen, auch denen, die nach uns kommen. Noch eine wichtige Botschaft geht wie ein roter Faden durch die ganze Bibel: Gott ist nicht nachtragend, er verzeiht und lässt uns immer wieder neu anfangen, wenn wir dazu bereit sind. Diesen Großmut sollten auch wir unseren Mitmenschen gegenüber aufbringen können.

Ich glaube, wenn wir immer wieder versuchen, die Bibel als unseren Wegweiser anzusehen, kommen wir dem, was wir im nächsten Leben erwarten, schon hier auf der Erde ein großes Stück näher.


Kommen. Und Sehen.

Donnerstag, 1. Jänner 2004 bis Donnerstag, 25. April 2024

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